Bedeutungswirbel

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Ein Bedeutungswirbel im methodischen Sinn ist die wirbelige, wilde Annäherung an ein Bedeutungsfeld durch das Umkreisen mittels mehrerer Begriffe und die Untersuchung ihrer Beziehungen zueinander.

In einem anderen Sinn ist ein Bedeutungswirbel eine sozial wirksame Meta-Abstraktion, die genau umgekehrt wilde, wirbelige Vorgänge innerhalb der Multitude strukturiert und ihnen Richtung und Ziel gibt.

Wichtig ist aber auch, was ein Bedeutungswirbel nicht ist: Er ist nicht die Fortsetzung des Satzanfangs "Ein X ist ...", er ist also keine Definition, weder formaler noch informeller Art.

Wirbel und Begriff

Philosophie ist die Konstruktion von Begriffen (Deleuze/Guattari). Bedeutungswirbel sind das, was sich jedem Begriff entzieht. Das klingt sehr mystisch, ist jedoch im Gegenteil vollkommen irdisch. Ein Begriff ist immer ein Anhalten, ein Definieren, etwas statisches. Das funktioniert in der Mathematik und in der Philosophie. Das Leben jedoch ist immer schon einen Schritt weiter, wenn wir es endlich auf den Begriff gebracht haben.

Bedeutungswirbel bringen Begriffe in Bewegung und setzen sie in Beziehung zueinander und zur sozialen Realität, sie bewegen also auch die Gesellschaft. Begriffe alleine sind dazu nicht in der Lage.

Begriffe haben immer Begriffspersonen, die ihnen ihre Bedeutung erst geben. Dialektik (Aristoteles) ist ein anderer Begriff als Dialektik (Hegel). Beduetungswirbel sind aber überpersonal. Sie sind die Zusammenwirkung aller personalisierten Begriffe und somit selbst unpersönlich. Das macht sie auch material, weil sie gesellschaftlich wirken, nicht individuell.

Bedeutungswirbel funktionieren viel eher auf der Ebene von Wörtern als auf der Ebene von Begriffen. Sie beinhalten Assoziationen, Sprichworte, Redewendungen, Alltagssprache ebenso wie Emotionen und Affekte .

Wirbel und Dialektik

Dialektik kann durchaus Teil von Bedeutungswirbeln sein, sie erschöpfen sich aber nicht darin. Dialektische Widersprüche, Synthesen, Spiralen sind Teil des Wirbels ohne schon der ganze Wirbel zu sein.

Bedeutungswirbel sind vielleicht der schwierige Versuch Dialektik und Poststrukturalismus zu versöhnen.

Dialektik macht (scheinbare) Widersprüche produktiv, bringt Bewegung in starre Gegensätze. Ein Gegensatzpaar wird dynamisiert. Bedeutungswirbel dynamisieren mehrere solcher Gegensatzpaare. Diese Gegensatzpaare strukturieren Teile von Welt gleichsam als Koordinatenachsen ohne sie zu definieren. Das Zusammenwirken von solchen Achsen ist noch nicht der Bedeutungswirbel, aber es ist die Möglichkeit sich ihm begrifflich zu nähern.

Wirbel und Transzendenz

Begriffe sind immer notwendig transzendent, weil sie genau dieses wirbelige, diese permanente Bewegung nicht haben können. Begriffe sind jedoch unverzichtbar, denn ohne sie könnten wir den Bedeutungswirbeln noch viel weniger auf die Spur kommen. Der Mystizismus ist der Versuch des Bedeutungswirbelns durch Ausschalten der Begriffe. Dabei ist das größte Problem vielleicht weniger, dass es nicht funktioniert, als vielmehr, dass es intersubjektiv nicht vermittelbar ist. Es gab den Versuch in den siebzigern diese Schranke durch Drogen aufzuheben. Das mag im Einzelfall vielleicht sogar funktionieren, aber gesellschaftlich ist daraus vor allem Elend entstanden. Eine Linie des Scheiterns der 68er hat so funktioniert. Esoterik oder Drogen sollten das schaffen, was Begriffe nicht geschafft haben.

Bedeutungswirbel erschaffen

Bedeutunsgwirbel sind ein Prozess, sie beschreiben nicht nur Bewegung, sie sind selbst Bewegung. Sie sind Tendenz, haben ein Ziel, dass jedoch immer unereichbar bleibt. Bedeutunsgwirbel treiben uns an, sie sind vielleicht selbst Wunschmaschinen.

Das Laboratorium erschafft Bedeutungswirbel, wenn es funktioniert. Ebenso erschaffen aber auch andere Methoden von Herrschaft und Befreiung Bedeutungswirbel.

Hegemonie ist der größte Wirbel im Feld der Macht.

Wirbel unter sich

Bedeutungswirbel stehen nicht alleine. Sie sind immer eine Dynamik von Aus- und Eingrenzung. Das Grenzgebiet ist immer umkämpft. Die Nachbarschaft ist dabei nicht durch eine definitorische Grenzziehung wie bei Begriffen gekennzeichnet. Etwas (Eine Handlung, ein Ereignis, eine Redensart, ...) kann in verschiedenen Wirbeln aktiv sein und dort ganz unterschiedliche Funktionen ausüben.

Die Nachbarschaft von Bedeutungswirbeln entsteht darüber, dass ein Teil ihrer Dynamik gemeinsam ist.

konstruktivistische Wirbel

Wollte man in systemtheoretischen und konstruktivistischen Vokabular beschreiben, was Bedeutungswirbel sind, könnte das in etwa so aussehen:

Bedeutungswirbel bezeichnen Orte im konsensuellen Wahrnehmungsfeld von Menschen, wo ein Symbol (der vermeintliche Begriff) unterschiedliche, aufeinandertreffende Wahrnehmungsinseln (die nicht identisch sein müssen mit Individuen) bezeichnet. Je unterschiedlicher die konnotierten Wahrnehmungen sind, um so wirbelliger ist der Ort.

Verständigung- und Aneignungsphänomene von Individuen und Kulturströmungen sind gleichzeitig Zustand als auch Dynamik (Praxis). Bedeutungswirbel meint somit gleichzeit den Versuch, den Ort wie auch die Dynamik in diesem Ort zu beschreiben, wie die physikalischen Wirbel, die wir kennen.

Ein physikalischer Wirbel beschreibt auch den Ort und die Gestalt der Strömungen und Massen, die an diesem Ort zusammenwirken.

Zum einen ist es eine Ortsbestimmung, die Ränder auf Wahrnehmungsachsen (ästhetische, psychische etc) beschreibt. Zum anderen ist es Funktionsbestimmung (in Arbeit: Bedeutungswirbel verwandelt ... Macht ...)

Bedeutungswirbel sind somit gleichzeitig gefährlich wie auch fruchtbar. Verschiedener Strömungen unbewusst können Diskurse im Wirbel gefangen werden.

Bewußtheit wäre die konsensuelle Einigung auf Benennung der Strömungen, die dann Kraft aus dem Netzwerk der Bedeutungswirbel ziehen könnte.

Wirbel und mentale Modelle

Im Folgenden hier ein weiterer Versuch zu erklären was Bedeutungswirbel sein können und was sie nicht sein können anhand einer anderen Herangehensweise. Ich beziehe mich dabei auf den Text "Zum Begriff Mentales Modell", der im Forschungsprojekt Keimform entstanden ist. Idealerweise geht es darum die beiden noch in der Entstehung befindlichen Begriffe aneinander zu schärfen.

Zunächst eine Auflistung von ins Auge fallenden Gemeinsamkeiten und Unterschieden:

Gemeinsamkeiten

Beide Begriffe sind ein Versuch die Verbindung von Theorie und Praxis, von Denken und Handeln neu zu begreifen.

Beide versuchen komplexe gesellschaftliche Dynamiken verstehbar und beeinflußbar zu machen.

Beide versuchen Gefühle, Alltagshandeln und Alltagssprache als gleichberechtigt mit rationalen Argumenten zu behandeln.

Unterschiede

"Mentale Modelle" halten daran fest, dass es eine unverrückbare "Wahrheit" gibt, die wir zwar nur unzureichend oder garnicht erfassen können, die aber trotzdem der Bezugs- und Überprüfbarkeitspunkt ist auf den man sich immer zurückziehen kann. Demgegenüber betonen "Bedeutungswirbel" die Konstruiertheit des Sozialen. (Zu dieser Formulierung gab es einen Einwand und schliesslich sogar einen ganzen Text von Annette Schlemm, irgendwas stimmt hier noch nicht, eine bessere Formulierung ist gesucht).